An Gustav Heckenast.


Wien, den 4. März 1857.

Teuerster Herr Prior, frommer Freund!

So hätten wir uns denn abermalen fromm gebettet, indem wir von den ehrwürdigen Minoriten in der Vorstadt zu den nicht minder ehrenwerten Minoriten in der Stadt zogen, dem Zuge unsers frommen Herzens folgend. Es war dies ein ebenso heiliges als schweres Werk, welches unsre sündigen Hände ohne höheren Beistand nie vollbracht hätten. Namentlich wurde unser zu profanen Dingen so ungewöhnter Geist hart angestrengt bei dem Ein- wie Auspacken unserer geringen Habseligkeiten. Wie oft sassen wir da in tiefem Brüten, wenn die verschiedenen Formate der Bücher sich nicht dem allgemeinen Lose des Verpackens fügen wollten, oder wenn wir mit dem Skrupel, der den echten Philosophen kennzeichnet, berieten, wo wir dies und jenes in der neuen Wohnung hinstellen sollten, damit wir es, wenn nötig, schnell fänden; wahrlich, eine Geistesarbeit, die einer edleren Sache würdig gewesen wäre, weshalb wir auch mehrere Tage nicht fähig waren, uns den vom heiligen Taroquin erfundenen Geistesübungen, die sonst unser Gemüt so aufrichteten, zu unterziehen. Dazu die enge Treppe, die zu unserer Zelle führt (der steile Pfad zur Tugend!), welche das Herbeischaffen der Kisten und des tönereichen Schwach-Stark schier behinderte. Nun ist aber jegliches an seinen Ort gestellt und gesondert, so die Bücher und Tonschriften, die zerrissnen und die ganzen Hemden, die Strümpfe und Sandalen, wie die andern irdischen Lappen, während der von Motten schon heimgesuchte Nationalgardenmantel wie mehrere Paar Beingewänder teils der Armut geopfert, teils für höhere Zwecke verkauft wurden. Nach und nach werden wir uns auch wieder dem uns gewordenen hohen Berufe zuwenden, wobei wir es vorderhand auf die noch zu kurzen Ohren der Ungläubigen abgesehen haben! Amen.


Weltliches: Vom Celloconzert

Dieses Ihr altes Eigentum hat mir schon viel Kummer gemacht und macht mir dessen noch immer. Schon dreimal hätte es öffentlich aufgeführt werden sollen, und ebensooft wurde ich getäuscht, das letzte Mal am 2. Weihnachtsfeiertage, an welchem das Stück in einer von Herrn Schlesinger zu veranstaltenden Akademie gegeben werden sollte; doch wurde dieser schon früher auf den Tod krank und ist heutzutage noch nicht wieder gesund. Als er sich etwas besser fühlte, suchte ich meine Komposition von ihm wieder zurückzuerhalten. Ich hätte sie ihm zwar ohne weiteres wegnehmen können, doch wollte ich ihm nicht wehe tun, zumal er geglaubt haben würde, ich zweifle ebenso wie andre an seinem Aufkommen. Bei meinem Besuche fand ich seinen Zustand besser, als ich erwartet hatte, und ich hoffe auf seine Wiedergenesung, besonders wenn er im Sommer und Frühjahr die stärkende und gesunde Landluft geniessen wird. Als ich ihm nun vorstellte, dass nicht ich allein Schaden erlitte, wenn meine Komposition so lange brach liege, sondern noch viel mehr der gegenwärtige Eigentümer davon, der rechtmässige Verleger, welcher daher auch gesonnen sei, dieselbe ehemöglichst erscheinen zu lassen: da begriff er das recht wohl, sagte indessen zugleich, dass ich ihm mit diesem Musikstück seine Arznei und seine Seele nähme, und beschwor mich, ich solle den Eigentümer in seinem Namen recht sehr schön bitten, mit der Herausgabe des Konzertstücks doch noch zu warten bis nächsten November, in welchem Monat er eine Akademie veranstalten werde, in der er es spielen wolle. Vergegenwärtigen Sie sich seine jammervolle Lage und den bittenden Ton, mit dem er mir zusetzte, so werden Sie begreifen, dass ich mit meinen räuberischen Absichten ihm gegen&umml;ber in eine recht missliche Lage kam. Ich erwiderte ihm daher in schönster Absicht: "Ich sehe gar wohl ein, lieber Freund, dass Sie nicht wollen, dass ein anderer Cellist die Piece, mit der Sie sich so sehr befreundet haben, zuerst öffentlich spiele; andrerseits werden Sie begreifen, dass ich selbe jetzt gern zurückerhalten möchte, und willfahren Sie meinem Wunsche, so verpflichte ich mich, Ihnen, wenn Sie wieder gesund werden, ein anderes Konzertstück zu schreiben, das hoffentlich noch besser ausfallen wird als das in Ihren Händen befindliche, weil ich dabei Erfahrungen benutzen kann, welche ich bei der Verfassung des ersten gemacht habe." Doch richtete ich mit dieser Vorstellung und diesem Versprechen nichts aus. Darauf schlug ich ihm folgendes vor: "Ich werde meinem Verleger schreiben, dass er sich erbitten lässt, die Sache auf die Weise zu ordnen, dass die fragliche Komposition jedenfalls erst im November, gleich nach Ihrem Konzert erscheint." Mit diesem Vorschlag erklärte er sich vollkommen einverstanden und schien sehr erfreut darüber. Mir ist zwar diese abermalige Verzögerung der Herausgabe sehr unlieb, und nur Schlesingers Bitten und seine traurige Lage konnten mich zu diesem Arrangement bewegen. Doch ich bin nur erste Instanz, die nichts rechtskräftig bestimmen kann; die zweite, höhere und allein gültige Instanz sind Sie als Eigentümer, und die Entscheidung hängt daher auch ganz allein von Ihnen ab.

Ich wurde gestern durch Kopfweh verhindert, den Brief zu enden, und füge daher heute, wo ich mich besser fühle, noch einiges bei, vor allem: Es kommt mir heute wie eine Ironie vor, was ich Ihnen gestern über die gewünschte Herausgabe des Cellokonzerts schrieb. Im November soll es erscheinen? Wenn Röder in Leipzig so langsam ist wie bisher, so muss man zufrieden sein, wenn das Konzert in vier Jahren erscheinen kann; ich weiss nicht, was daraus werden soll. Nun, Sie werden ja in Leipzig sehen, wie die Sachen stehen und was sich für die Zukunft in unseren Angelegenheiten erwarten lässt; ich fürchte, nichts Gutes, indem ich glaube, das Erscheinen meiner Arbeiten wird auch künftighin sehr, sehr langsam gehen. Sind die Variationen immer noch nicht da?

Hiermit will ich formell schliessen, aber nicht faktisch; betrachten Sie diesen Brief als das Hauptblatt der "Augsburger" und den beiliegenden Brief an Kendelenyi als die "Beilage"; auf diese Weise schlage ich zwei Fliegen mit einem Schlage tot (hätte ich nämlich bald gesagt). Alles Schöne allen Schönen, und alles ist ja schön, nur nicht

Ihr graupeter malader Freund

Robert Volkmann

Den 5. März.



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